Das Header-Foto zeigt die zusammengebundenen Hände eines 2014 hingerichteten Menschen außerhalb von Baghdad, © Christoph Bangert

Ein tödliches Jahr

In Kriegsgebieten wird Jagd auf Journalisten gemacht, es drohen Entführungen und Hinrichtungen wodurch ein Niemandsland für unabhängige Berichterstattung entsteht. Wie kommen Fotoagenturen dennoch an ihr Fotomaterial?

Layoutseiten des Medium Magazin. Aufmacher Foto vom israelsichen Soldaten mit Artilleriegranaten an der Grenze zum Gaza-Streifen: © Abir Sultan/ Epa. Weitere Fotos: © Kilic Bulent / AFP, © Sergey Dolzheneko/ Epa, Internetbild einer Djihadisten Grupoe, © Mohammed Al-Shaikh/ AFP.

Ukraine, Syrien, Irak, Gaza  ­– im Jahr 2014 prägten kriegerische Auseinandersetzungen die Berichterstattung. Und es war ein tödliches Jahr. Mit Entsetzen und Abscheu hat die Weltöffentlichkeit die grausamen Hinrichtungen des Fotografen James Foley und des Journalisten Steven Sotlof aufgenommen. Die US-Reporter mussten als Erpressungsmasse und Propagandaopfer herhalten. Den Tod fanden allerdings vorwiegend lokale Journalisten, die in den westlichen Medien kaum Erwähnung fanden. In Syrien, wo Foley und Sotlof vor laufender Kamera umgebracht wurden, kamen zwölf Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ums Leben. Reporter ohne Grenzen registrierte 2014 weltweit 62 getötete Journalisten.

„Das ist eine sehr kritische Tendenz und schränkt uns in der Arbeit inzwischen zunehmend ein. Journalisten werden immer häufiger selber zur Zielscheibe “, berichtet Hannah Hess, Chefredakteurin der European Pressphoto Agency (EPA), „Diente die Aufschrift PRESSE auf den Sicherheitswesten und Helmen früher noch als Schutz, so gibt es heute immer öfter Situationen, in denen sich die Journalisten aus Sicherheitsgründen besser nicht als solche zu erkennen geben.“ Weil Banden und Rebellen in Syrien, dem Nordirak und der Ukraine Jagd auf Journalisten machen, sind diese Regionen zu No-Go-Areas geworden. Unangenehm für schreibende Journalisten die nicht mehr aus eigenem Augenschein berichten können, katastrophal für Fotografen, die zwingend vor Ort sein müssen.

Weiße Flecken in der Berichterstattung

Konfliktparteien übernehmen die „Berichterstattung“ über neue Medien und Soziale Netzwerke. „Es wird tatsächlich weniger versucht, Journalisten und Fotografen für sich zu nutzen. Dagegen wird eher versucht, Fotografen davon abzuhalten, die Lage journalistisch neutral zu dokumentieren“, so Hannah Hess. Die zunehmend weißen Flecken für unabhängige Bildberichterstattung auf der Landkarte stellen die Nachrichtenagenturen vor besondere Herausforderungen. „In solchen Fällen versucht EPA den Bedarf mit einem Alternativangebot zu decken. Schließlich sind es nicht allein Bilder von Gefechten, die eine kriegerische Auseinandersetzung gut illustrieren. Oft sind es die Auswirkungen solcher Auseinandersetzungen, die – in Bildern eingefangen – das eigentliche Drama besser verdeutlichen“, erklärt die Chefredakteurin der dpa Partneragentur.

Auch AFP Fotografen dokumentierten den Kampf um das kurdische Kobane von der Türkei aus: Bombeneinschläge aus der Distanz, Flüchtlinge, die es über die Grenze geschafft haben. „In Syrien ist AFP die einzige globale Agentur mit einem Büro in Damaskus. Aber bereits im August 2013 hat die AFP entschieden, keinen Reporter mehr in die gefährlichsten von den Rebellen kontrollierten Gebiete Syriens zu schicken, wegen des zu hohen Entführungsrisikos“, sagt Isabelle Wirth, Leiterin des Bilderdienstes für Deutschland bei Agence France-Presse.

Handouts als Ersatz für eigenes Bildmaterial

Wo journalistisches Niemandsland geschaffen wurde, bleibt den Nachrichtenagenturen nur noch die Möglichkeit auf Bildmaterial der Konfliktparteien zurückzugreifen. Sie werden als sogenannte Handouts – deutlich als Fremdmaterial gekennzeichnete und mit der Quelle versehene Fotos – weitergereicht. „Agenturen sind nicht mehr der einzige Verbreitungskanal für Nachrichten“,  konstatiert Isabelle Wirth. Die Flut der Internetbilder ist oftmals der Versuch auch die offiziellen Medienkanäle für eigene Propaganda zu nutzen.

Ist damit nicht die Glaubwürdigkeit der Nachrichtenagenturen in Gefahr? „Ganz im Gegenteil. Gerade dort liegt der entscheidende Vorteil einer seriös arbeitenden Agentur. Wir vertreiben Material, deren Quelle wir vollstes Vertrauen schenken und garantieren Authentizität“, betont Hannah Hess. Und Isabelle Wirth meint: „Letztendlich wird den Medien immer mehr bewusst, dass nur professionelle Fotodienste komplett verifizierte Produktionen aus der ganzen Welt liefern können.“

Propaganda- oder Nachrichtenbild? Diese Entscheidung ist schwierig zu fällen. „Das ist jedes Mal eine Abwägung zwischen Informationsaufgabe und propagandistischer Gefahr“, sagt Wirth,  „Patrick Baz, der AFP Fotochef für den Nahen Osten legt Wert darauf, nur solche Fotos zu verbreiten, die extrem informativ sind.“  Da kommt ein Foto eines Massakers, das auf einer Jihadisten Website auftauchte, wegen seines Nachrichtenwertes in den Verteiler. Heroisierende Kämpferfotos dagegen nicht.

Rasend schnell verbreiten sich falsche Bilder

Wenn diese Hürde genommen ist, verifizieren Bildredakteure, die täglich mit solchen Bildern der Region umgehen, die Fotos auf ihre Authentizität. Sie ziehen die erreichbaren Text und Bild-Quellen zu rate, um herauszufinden, ob das Ereignis an dem Ort und zu der Zeit tatsächlich stattgefunden hat. Sie durchforsten das Internet nach gleichen oder ähnlichen Fotos und stellen so manches Mal fest, dass alte Bilder aktuellen Ereignissen zugeschrieben werden oder gar von völlig anderen Begebenheiten stammen. Ein Beispiel: In sozialen Netzwerken hatten sich 2012 rasend schnell Bilder verbreitet, die angeblich das Leid der Palästinenser im Gazastreifen zeigen. Tatsächlich stammten viele der Fotos aus Syrien und dem Irak.

Was ist echt, was ist falsch? Wenn alle gefundenen Fotos nur aus einer Quelle stammen, ist große Skepsis angebracht. Auch der Veröffentlichungszeitpunkt sollte mit dem Ereignis in unmittelbarem Zusammenhang stehen. AFP prüft Fotos mit Hilfe der Software Tungstene  auf mögliche digitale Bildmanipulationen, eine Analyse, die demnächst auch bei EPA eingeführt wird. „Wir beißen in den sauren Apfel und benutzen im Zweifelsfall das Material nicht“, so Hannah Hess, „Der Schaden, der entsteht wenn etwas Falsches rausgeschickt würde, ist riesig. Wir möchten nicht die Schnellsten mit einem trügerischen oder manipulierten Bild sein.“

Die Branche hat gelernt genauer hinzuschauen

Obwohl Handouts aus Krisengebieten eine verschwindend kleine Menge ausmachen ­– unter etwa 6.000 Fotos die AFP in zwei Tagen aussendet, stammt ein Foto aus sozialen Netzwerken – glaubt Isabelle Wirth, dass „in den Bildagenturen eine Kultur der intensiven Bildanalyse entstanden ist.“ Das Vier-Augen-Prinzip und die interne Diskussion über Bildinhalte vor dem Publizieren kritischer Bilder ist offenbar Branchenstandard. Bei all den Schwierigkeiten der Bildbeschaffung, gewinnt die Fotochefin der Situation doch etwas Positives ab: „Früher stand manches Mal der Konkurrenzkampf im Vordergrund und Agenturen haben Bilder unter Zeitdruck herausgegeben. Nach einigen Irrtümern hat die Branche gelernt genauer hinzuschauen und Bilder noch professioneller zu überprüfen.“

Fotoagenturen stehen unter starkem Druck. Neben einem harten Wettbewerb fordern ihre Kunden Bildmaterial auch aus gefährlichen Situationen. Hannah Hess: „Es ist unsere journalistische Pflicht, über Krisen zu berichten. Das heißt aber nicht, dass wir ohne Rücksicht auf Verluste Fotografen an die Front schicken. Generell gilt: nur so nah wie nötig, dabei so sicher wie möglich.“ Agenturfotografen, die in Kriegsregionen arbeiten sind versichert, nehmen an speziellen Sicherheitstrainings teil und können sich auf ein verlässliches Netzwerk vor Ort stützen. Die großen Agenturen geben für sie Guidelines heraus, die von der Ausrüstung bis zu Verhaltensweisen in Krisensituationen die Praxis regeln. AFP weist darin seine Fotografen an, niemals allein sondern ausschließlich im Team unterwegs zu sein. Fotografen sollten weder wie Kriegstouristen noch wie Kämpfer gekleidet auftreten. „Im Kriegsgeschehen müssen sie deutlich als Journalist erkennbar sein“, erklärt Isabelle Wirth, „sonst so unauffällig und diskret wie möglich.“

das Grauen ist leider blanke Wirklichkeit

Christoph Bangert berichtet regelmäßig aus den Krisenregionen dieser Welt

Im März 2011 sitzt Christoph Bangert im Flieger nach Tokyo. Er weiß: Ob das Flugzeug dort landet ist ungewiss. Der Airport ist gesperrt, denn in Fukushimas Reaktorblöcken kam es zur Kernschmelze. In den Nachrichten hatte der Fotojournalist von der Katastrophe erfahren, packte spontan seine Sachen und fuhr zum Flughafen. Auf dem Weg dorthin rief ihn die Bildredaktion des Stern an. Was er auf eigene Faust startete, war zum Auftrag geworden. Nach zwölf Stunden Flugzeit ist Tokyos Airport gerade wieder offen und Bangert ist einer der ersten internationalen Fotografen vor Ort.

Die Spezialität des Fotojournalisten sind Krisen, Kriege und Katastrophen, die er für führende internationale Publikationen ablichtet. Nach einem Praktikum bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einem Fotodesign Studium an der FH Dortmund und einer Ausbildung am International Center Of Photographie in New York, knüpfte er seine ersten beruflichen Kontakte in den USA, zum Beispiel bei der New York Times.

Das Gegenteil eines Draufgängers

„Es war reiner Zufall, dass ich am Anfang meiner Laufbahn in Krisengebiete geschickt wurde“, berichtet Christoph Bangert, „Aber dann stellte sich heraus, dass ich in Extremsituationen sehr gut arbeiten kann.“ Weil er sich zudem für globale und politische Themen interessiert, blieb er dabei. Palästina, Irak, Nigeria, Afghanistan, Darfur und Libanon sind einige seiner Stationen.

Christoph Bangert ist ruhig, besonnen und abgeklärt – das glatte Gegenteil eines Draufgängers. „Reporter, die Kriegssituationen dokumentieren, sind in der Regel keine Cowboytypen. Weil vor Ort lange Phasen eigentlich nichts passiert, muss man gut planen können. Kriegsfotografie ist nicht so spektakulär wie man es sich vorstellt“, so seine Erfahrung.

Themen, Die mich bewegen

Der 36jährige fotografiert nicht nur dort wo es kracht und knallt. Und er bleibt am Ball. Nach Auftragsarbeiten über die Tsunami-Folgen und das Reaktorunglück ist er aus eigenem Antrieb regelmäßig in Japan. „Niemand weiß wie das Land in zehn Jahren aussehen wird, wie sich die Strahlenbelastung langfristig auswirkt“, dieser Frage will Bangert nachgehen. Sein Langzeitprojekt hat auch einen persönlichen Bezug: er ist mit einer Japanerin verheiratet. „Ich beschäftige mich mit Themen, die mich bewegen, aufwühlen oder sogar wütend machen. Unter solchen Vorzeichen entstehen die besten Geschichten“, meint er.

Für seine Arbeit wurde Bangert bei Fotowettbewerben wie World Press Photo und POYi mehrfach ausgezeichnet. Jüngst machte er mit einem ungewöhnlichen Buchprojekt Furore. Es heißt „War Porn“ weil es schreckliche Kriegsszenen zeigt, nie gedruckte Bilder, die Printmedien ihren Lesern nicht zumuten wollen – ebenso wie Pornofotos. Kein Voyeurismus, sondern ein dezent gestaltetes Experiment, das zur Auseinandersetzung mit der Kriegsfotografie anregt. „Ich glaube wir müssen auch solche grausamen Bilder anschauen können, sonst blenden wir einen Teil der Realität aus. Denn das Grauen ist leider blanke Wirklichkeit. Das wissen wir nicht erst seit der Befreiung der Menschen aus den Nazi-Konzentrationslagern. Die Fotos davon haben unseren Blick auf die Geschichte geprägt.“

www.christophbangert.com

Info:

WAR PORN
Kehrer Verlag
192 Seiten, 12 x 16 cm
ISBN 978-3-86828-497-3
Euro 29,90