Ernesto Bazan

PortrŠt Ernesto Bazan
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Mit dem inneren Auge

Der Fotograf Ernesto Bazan führt den Betrachter durch ein unbekanntes Kuba. Mit seinem besonderen Blick hat er die Mystik und das Lebensgefühl der Kubaner in außergewöhnlichen Fotos aufgespürt

 TEXT: © Manfred Scharnberg, FOTOS: © Ernesto Bazan

»In der Stille des leeren Raumes möchte ich weinen. Es ist die Erinnerung daran, wie schwierig es ist, ein verdammt gutes Foto zu schießen. Ich kann das Urteil nur als Gefangener akzeptieren«, mit diesen Worten beschreibt Ernesto Bazan in seinen Notizen, die Enttäuschung beim Blick auf den Kontaktbogen. Er schildert den Kampf um ein gutes Foto – das Ringen mit sich selbst. Mal verliert, mal gewinnt, wer so hohe Maßstäbe an die Fotografie anlegt, wie Ernesto Bazan.

Bei der Fotoauswahl zu seinem Buch »Cuba« ist der Fotograf eindeutig als Sieger hervorgegangen. Nicht ohne Grund wurde es bei den Independent Publisher Book Awards ausgezeichnet und zum besten Fotobuch beim New York Photo Festival 2009 gekürt. Es sind Bilder voller Geheimnisse und Rätsel, die uns Ernesto Bazan darin präsentiert, ganz persönliche Fotos. Oft dunkel und mysteriös, aber immer sehr menschlich. »Bilder mit einer Seele«, wie der Fotograf sie bezeichnet. Da ist das Foto von dem Wasserträger. Sein Gesicht bleibt verborgen hinter der großen Flasche, in der sich eine marode Trümmerlandschaft spiegelt. Und da ist das rätselhafte Bild eines Mannes, der auf dem Boden liegt. Verbeugt er sich vor der ausgemergelten Hundeleiche die vor ihm liegt? Und warum trägt er eine Plastikfigur in der Hand? Die merkwürdige Szene zeigt einen Pilger, der zu Ehren von Sankt Lazarus durch den Straßenstaub kriecht. Sankt Lazarus stellt die Figur in der Hand des Pilgers dar, ein Heiliger, der zugleich Schutzpatron der streunenden Hunde ist. So finden sich Bildelemente zusammen, die für ein europäisches Auge ungewohnt sind.

»In der Fotografie kommt es darauf an, die unsichtbare Glasscheibe zwischen sich und dem Thema zu durchbrechen «

Ernesto Bazan

Vergeblich sucht man nach den stereotypen Bildern, die von Kuba im Gedächtnis sind: Die Häuserreihe an der Uferstraße Malecón, Tänzerinnen im Tropicana oder die uralten amerikanischen Limousinen. Bei Bazan ist das alles anders, beiläufig und alltäglich. Zwar hat auch er ein Motiv, das schon mehrere Fotografen abgelichtet haben: den Mann, der eine verbeulte Limousine auf der Straße repariert. Bei Bazan lugt der allerdings so skurril unter dem Auto hervor, als sei er von dem Fahrzeug überfahren worden. Doch es ist nicht Surrealismus, den Bazan pflegen will. Es ist seine spezielle Art zu sehen. »Klischees, die es über Kuba gibt, interessieren mich nicht. Ich bilde in dem Buch meine große Liebe für die Kubaner ab«, sagt Ernesto Bazan. »Bilder sehe ich mehr mit meinem inneren Auge, als mit meinen physischen Augen. Das macht einen großen Unterschied.«

Der Fotograf sieht einen weiteren Grund, warum seine Fotos sich von den geprägten Mustern unterscheiden: »Normalerweise kommen Fotografen als Fremde in ein fremdes Land. Für sie ist es kaum möglich diese unsichtbare Glasscheibe zwischen Ihnen und ihrem Thema zu durchbrechen. Ich aber wurde im Laufe der Zeit zum halben Kubaner und konnte diese Barriere überwinden.« Er zeigt uns nicht Kuba, wie es auf den ersten Blick aussieht, Ernesto Bazan lässt es uns durch seine Augen erleben. Nicht vom Standpunkt eines Beobachters sondern des Insiders.

Das magische Geheimnis der unglaublichen Stadt

Kuba war zunächst nur ein Reiseziel des Fotografen. Ernesto Bazan, der in Sizilien geboren wurde, besuchte die Insel mehrmals. 1992 schrieb er noch über Kuba: »Die Erniedrigung ist gewaltig. Überall Stücke zerbrochener Träume und Trostlosigkeit.« Später, 1995, glaubte er dort seine verlorene Kindheit wieder zu finden. Mit Hilfe der Fotografie wollte er zu den glücklichsten Jahren seines Lebens zurückkehren. Bein Durchstreifen der Straßen nach Fotomotiven, bei den Begegnungen mit den Menschen kam allmählich das Gefühl auf, als ob er schon immer dort gelebt hätte. Er verfiel dem »magischen Geheimnis dieser unglaublichen Stadt«.

Ernesto Bazan blieb. Für ihn die Heimkehr zu seinen Wurzeln. Er heiratete, gründete eine Familie. Lebensgrundlage waren Fotokurse, die er in der Hauptstadt abhielt. Im Januar 2006 endete die Liebesaffäre zu »seiner« Insel abrupt. Er wurde in eine Polizeistation vorgeladen, wo man ihm mitteilte, dass er seine Workshops nicht mehr fortsetzen dürfe. Ein Grund nannten die Beamten nicht. Ernesto Bazan verließ Kuba und lebt heute mit Frau und Kindern in Veracruz, Mexico. Weiterhin bestreitet er seinen Lebensunterhalt mit Workshops, die er in Südamerika, New York und Italien abhält. Der Deal ist einfach: Seine Studenten bezahlen ihn dafür, dass er sie fotografisch weiter bringt. Und sie ermöglichen ihm damit, die eigene fotografische Arbeit fortzusetzen. Seit Bazans Kindheit, als er die erste Kamera in die Hand bekam, setzt er konsequent seinen Weg fort, bewahrt sich die Unabhängigkeit – der eigenen Arbeit wegen. Bazan: »Es ist großartig. Seit neun Jahren, in denen ich unterrichte, habe ich nicht im Auftrag gearbeitet. Sondern mache exklusiv und ausschließlich meine eigenen Fotos – frei von sämtlichen kommerziellen Einschränkungen.«

Unabhängigkeit ist auch Bazans Prinzip bei der Buchproduktion. »Cuba« wurde im Eigenverlag hergestellt. »Etwa 50 Freunden und Studenten ist es zu verdanken, dass das Buch Realität wurde«, berichtet der Fotograf. 50 000 Dollar bekam er zusammen, konnte all seine Vorstellungen realisieren, ohne Einwirkung von außen. Zudem griff er auf die aktive Mithilfe seiner Schüler zurück. Er arbeitet an einem neuen Buch, das 2011 erscheinen soll. Wieder über Kuba, aber diesmal in Farbe. »Es handelt vom Lande und meinen Beziehungen zu den Farmern. Die Arbeit ist viel vertrauter und sanfter, als die bisher veröffentlichten.«

Ernesto Bazan, dessen Fotos in den Sammlungen renommierter Museen ihren Platz haben, verzichtet nicht nur auf Fotoaufträge. Er sieht sich auch nicht als Fotojournalist. »Ich bin kein Journalist. Ich mache keine Sozialstudien, sondern folge nur meinem Herzen«, sagt Bazan, »in meinem Buch zeige ich nicht nur, was ich in Kuba erfahren habe, sondern auch etwas über mein Leben. Mehr noch: In meiner Arbeit steckt, was ich im Allgemeinen über das Leben denke und fühle.«

»Auch wenn die Fotos leicht hin fotografiert aussehen, kosteten sie mich viel Zeit, Leidenschaft und Engagement«

Ernesto Bazan

Wenn man Bazans Fotos betrachtet, findet man dort alle Facetten des Lebens: Fröhlichkeit und Feierlaune, aber auch Kummer und Armut. Auch wenn er jeglicher journalistischen Arbeitsweise abschwört, so hat sein »Herz« ihn dennoch an Stätten gebracht, die ein Normalbürger nicht besucht. Er lichtete Szenen wie eine Tanzveranstaltung im Altersheim, Soldaten bei einer Militärübung und Arbeiter in einer Rum-Fabrik ab. »Ich habe keine Pläne, ich suche einfach nur Bilder«, sagt Ernesto Bazan. Gerade in Lateinamerika käme der Plan dann ganz von allein. Man müsse sich nur auf die Situation einlassen. Die Ergebnisse der Arbeit wirken so fazil und mühelos, als seien sie aufs Gratewohl geschossen. Das Gegenteil ist der Fall. »Auch wenn die Fotos so leicht hin fotografiert aussehen, es ist schwieriger als es aussieht. Sie haben mich viel Zeit, viel Leidenschaft und viel Engagement gekostet«, betont Ernesto Bazan.

Ebensoviel Mühe investiert er in das Editing. »Ich bin schon froh, wenn ich zwei oder drei gute Bilder im Jahr fotografiere«, sagt er, »Im Buch sind 118 Fotos aus 14 Jahren meines Lebens abgedruckt – das sind etwa acht Fotos pro Jahr.« Ernesto Bazan denkt in anderen zeitlichen Dimensionen als ein Fotojournalist. Daher haben seine Fotos auch kein Verfallsdatum. »Wir Fotografen sind mit unseren Bildern verbunden und anfangs nicht in der Lage, sie gut zu editieren«, meint er, »aber, Kontaktbögen kann man in die Schublade legen. Jahre später holt man sie wieder hervor und betrachtet sie mit neuem Blick. Dann entdeckt man Fotos, die vorher untergegangen wären.« Ernesto Bazan arbeitet ganz bewusst und unbeirrt mit analogen Kameras. Das gesamte Cuba-Buch ist mit TriX Film fotografiert. »Ich liebe den Entwicklungsprozess und die Kontaktbögen. Kontaktbögen sind eine visuelle Reise, ein visuelles Tagebuch. Allein schon der Geruch, der Blick auf die Kontaktbögen, bringt mich zu den Momenten zurück, in denen ich die Fotos gemacht habe«, berichtet er.

Schwarz und Weiß sind die Farben der Fotografie

Auch wenn Bazan nie bei dem großen Fotografen studiert hat, betrachtet er Robert Frank als seinen heimlichen Mentor. Gemeinsam mit diesem Vorbild teilt er die Meinung: »Schwarz und Weiß sind die Farben der Fotografie. Für mich symbolisieren sie die Alternativen von Hoffnung und Verzweiflung zu denen die Menschheit für immer ausgesetzt ist«, so formuliert es Frank in poetischen Worten. Das Beharren auf der althergebrachten Technik mag manchem ziemlich altmodisch anmuten. Wenn man aber Bazans Fotos dagegen hält, dann kommen sie frischer und moderner daher, als die meisten digitalen Bilder. Bereits 1993 – aus der Zeit stammen seine ersten Fotos aus dem Buch – legt er eine atemberaubende Bildsprache hin. Auch wenn Ernesto Bazan großen Wert auf einen guten Bildaufbau legt, verharrt er nicht im Formalen. »Nicht nur die Komposition muss stimmen – in einem ausgezeichneten Foto sollte alles funktionieren. Auf die gute Kombination aus Form und Inhalt kommt es an«, meint er, »der Fehler mancher Fotografen ist das Überbetonen der Formen und Farben statt des Inhaltes.«

Der digitalen Fotografie kann er für sich selbst nichts abgewinnen. Aber auch ganz allgemein sieht Bazan in der digitalen Technik Konfliktstoff: »Ein häufiges Problem ist die starke Nachbearbeitung der Bilder am Computer. Fotografen nehmen völlig langweilige Fotos und hoffen dass der Photoshop-Magier ihre Fotos besser macht. Aber wenn am Anfang kein gutes Foto steht, kann man noch so viel an den Farben drehen – das Foto wird nicht wirklich besser.« Dabei geht es ihm nicht um einen ästhetischen Diskurs. Er fordert Authentizität ein: »Wenn man das Leben fotografiert, kann man Bilder dunkler machen oder die Farben ein wenig sättigen, aber niemals die Farben ändern. Sonst hat man nämlich aufgehört Bilder vom wirkliche Leben zu fotografieren.«