Weingut bei Tramin
Geissler Gruppe
Fassatal mit Dolomiten
Nach dem Gottesdienst in Sankt Johann
Alpenwiese
Dolomiten im Vilnößtal
Gemse
Geissler Gruppe
Enzian
Kinder in einer Berghütte
Sankt Johann vor Geißlergruppe
Gasthof in Tramin
Tramin
Wildensee mit Karwendelgebirge
Geissler Gruppe
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Im Norden des Südens

Schroffe Berge, liebliche Täler: In Südtirol mischt sich die Herbheit des Nordens mit der Süße des Südens. Auch in kultureller und kulinarischer Hinsicht.

Den Weg nach Bozen versperrt eine Autokolonne. Stau im einsamen Weinberg? Von der Wiese nebenan schallt lautes Lachen und Johlen. Die Insassen der wartenden Fahrzeuge schauen belustigt zu, wie ein Herr in bestem Anzug und feinem Schuhwerk versucht, einen Fußball am Torwart vorbei in ein kleines Tor zu befördern – angefeuert von einer jungen Frau im Brautkleid. Es ist keine Szene aus einem Fellini-Film, sondern ein „Standl“, ein Tiroler Hochzeitsbrauch. Auf dem Weg von der Kirche zum Festessen muss der Bräutigam eine Aufgabe lösen, die mit seinem Beruf oder Hobby zu tun hat. Dieser Bräutigam ist offensichtlich Fußballer. – Tor! Er hat es geschafft! Im Nu löst sich die Gruppe auf, steigt samt Torwart und Brautleuten in die Autos. Ihr Hupen schallt noch lange aus dem Tal hinauf.

Kurz vor Südtirols Hauptstadt werden Besucher von einem Verkehrsschild begrüßt: „Alle Richtungen“. Ein vielsagender Hinweis. Denn die Stadt im Talkessel, wo Eisack, Etsch und Talfer zusammenfließen, ist in der Tat ein idealer Ausgangspunkt für die Erkundung der Region – Meran, Überetsch, die Seiser Alm, das Sella-Massiv, das Grödner-, das Sarn- und das Vilnößtal liegen praktisch vor Bozens Haustür. Das Herz der Stadt schlägt am Walther Platz – besser gesagt: an der Piazza Walther. Wer in italienische Atmosphäre eintauchen möchte, setzt sich am besten in eines der Straßencafes. Bei einem Latte Macchiato oder einem Cafe, wie hier der Espresso heißt, kann man den Platz als Showbühne mit eigener Dramaturgie erleben. Eben noch schleppte ein breitschultriger Mann mit Tirolerhut seinen Einkauf nach Hause – um die Hüfte eine blaue Schürze, die in manchen Tälern noch zur Standardbekleidung gehört. Und jetzt flaniert eine Signora in modischem Minirock vorbei – mit einem Mops an der Leine, natürlich telefonierend, offenbar molto importante.

Auf dem Platz herrscht ein Sprachengemisch aus Deutsch und Italienisch, Nord trifft auf Süd, alpenländische Bodenständigkeit mischt sich mit mediterranem Flair. Dass Bozen im Kommen ist, sieht man nicht nur daran, dass ein traditionelles Hotel wie das „Greif‘ von Künstlern und Architekten zu einem Designhotel umgestaltet wurde. Die Stadt schaffte es, die Eismumie Ötzi in ihr Archäologiemuseum zu holen, und macht daneben mit trendigen Ausstellungen in der städtischen Kunstgalerie „Museion“ Furore. Selbst in die Wandelgänge der berühmten Laubengasse mit ihren Erkern zieht ein neuer Geist ein. Doch zuweilen ist das auch schade: So werden die Laubenkönige – wie die Alt-Bozner Kaufmannsfamilien hier heißen – von Gucci, Chanel und Co. aus der uralten Einkaufsmeile verdrängt. Kein Wunder, wenn ein Geschäft mit sieben Meter breiter Front 9500 Euro Miete im Monat kostet.

Trotzdem behält Bozens Zentrum seinen Altstadtcharakter. Über stattlichen Bürgerhäusern aus Renaissance und Barock thront das Schloss Runkelstein, eine regelrechte Bilderbuchburg. Südwestlich der Stadt liegt das burgenreichste Gebiet der ganzen Region. In Sichtweite befindet sich die Festung Sigmundskron, die Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner gerade zu einem Gebirgsmuseum ausbauen lässt.

WAS SIND DIE DOLOMITEN … SIND SIE WAHR ODER EIN TRAUM?“

Dino Buzzati

Szenenwechsel: Steil ragen am Ende des Vilnößtals die mächtigen Geislerspitzen in den Himmel, in 2100 Meter Höhe befindet sich die Vegetationsgrenze. Unvermittelt tauchen zwischen Felsbrocken und Schneefeldern zwei Ausflügler auf. Auf den Schultern tragen sie Moutainbikes. Da hat wohl jemand den Messner-Reinhold missverstanden! Doch die Dolomiten scheinen sich auch als Revier für Radsportfans zu eignen. Für die Biker ist das weitab von jeglicher Straße gelegene Terrain offenbar kein Problem. „Que bello“, wie schön, schwärmt die junge Frau beim Blick ins Tal, das mit seinen saftigen Wiesen und verstreuten Höfen in der Sonne leuchtet – Dolce Vita in den Bergen.

Zwischen den Zinnen von Sass Rigais und Furchetta hat sich der im Vilnößtal geborene Reinhold Messner seine ersten Klettersporen verdient. Der Adolf-Munkel-Weg, der an der gezackten Gipfelkette der Geislerspitzen entlang führt, ist freilich für jeden geeignet, der einigermaßen rüstig ist. „Eine der schönsten Touren in den Dolomiten“, meint eine Gruppe von Wanderinnen aus dem Saarland, die gerade auf der Gschnagenhardt-Alm Rast macht. Die Pause auf der Alm lädt dazu ein, einen der hausgemachten Schnäpse zu probieren. Die Auswahl umfasst so ungewöhnliche Geschmacksvarianten wie Basilikum, Rosmarin und Salbei, Latschenkiefer oder Zirbe – ebenfalls ein Kieferngewächs.

Dann beginnt der Abstieg. Der Weg schlängelt sich durch einen Märchenwald. Es duftet nach Akelei, Erika und Tannen. Im Tal gurgelt der Kaserill-Bach, und die Gipfel haben eine Haube aus Wolken aufgesetzt. Da erscheint die Frage von Dino Buzzati,des Chronisten der Berge, durchaus berechtigt: „Was sind die Dolomiten? … Sind sie Steine oder Wolken? Sind sie wahr oder ein Traum?“

„Man könnte es ein Paradies nennen“, sagt Herbert Tiefenbrunner über sein in warmen Erdfarben strahlendes Schloss Turmhof. Es liegt am westlichen Hang des Etschtals in den Weinbergen von Entiklar – samt märchenhaftem Park und geräumigem Weinkeller. Es ist kühl und dunkel in den alten Gewölben. 111 raumhohen, ovalen 4700- Liter-Fässern und in kleinen runden aus französischer Eiche lagern edle Tropfen, typische Südtiroler Rotweine wie Grauvernatsch und Lagrein, aber auch feine Weiße aus Gewürztraminer- oder Rieslingtrauben. Herbert Tiefenbrunner hält das Degustierglas gegen das Licht, prüft die Farbe des Rotweins, schwenkt das Glas, riecht, trinkt – und lässt den Wein mit einer Kaubewegung alle Geschmacksknospen seines Mundes umspülen. Der Mann mit dem weißen Haar und den sanften Augen lächelt zufrieden: „Ein charaktervoller, blumiger Wein, leicht und mit feinem Bukett.“ Für seine exquisiten Tropfen erhielt Tiefenbrunner mehrfach Auszeichnungen, und im Gourmetführer Gault Millau Südtirol steht die Marke „Castel Turmhof‘ gleich zweimal auf der Bestenliste des Jahres 2004. „Als kleiner Betrieb können wir uns nur mit bester Qualität profilieren“, sagt der Kellermeister, der bereits vor Jahrzehnten begonnen hat, die Weinproduktion des Hauses auf hochwertige Rebsorten und individuelles Kellereihandwerk umzustellen – eine rur Südtiroler Winzer typische Entwicklung. Auf gut 98 Prozent der Südtiroler Weinanbaufläche wachsen heute so genannte DOC-Weine, also kontrollierte Qualitätserzeugnisse.

Mit Dreihundert Sonnentagen ist Südtirl eine verwöhnte Region

Von Kurtatseh, zu dessen Gemeinde der Turmhof gehört, führt die Straße leicht hinauf in die Bergterrassen von Überetsch. Die Winzerhöfe und Weinschlösser inmitten der Weinberge wirken mit ihren mächtigen Mauern und verzierten Erkern wie kleine Burgen. Endloses Grün bedeckt die weich wallenden Hänge. Charakteristisch für die Region: Die Reben wachsen nicht einfach senkrecht in die Höhe, sondern bilden – an winkligen Holzgestellen, den Pergeln, emporgerankt – ein schattiges Dach, das die Böden vor Austrocknung schützt – schließlich gehört Südtirol mit etwa 300 Sonnentagen im Jahr zu den verwöhnten Klimazonen Europas.

Rund um den Kalterer See, in den Orten mit so klangvollen Weinnamen wie Tramin, Kaltern, Eppan oder Girlan, fällt die Auswahl unter den vielen Schenken für eine „Marende“, eine Zwischenmahlzeit, schwer. Tiroler Speck, der herzhafte Räucherschinken, dazu das mit Anis gewürzte „Schüttelbrot“ und natürlich ein Wein aus der Gegend – schon diese einfache Mahlzeit ist ein Genuss. Mit mehr Auswahl lässt sich auf dem Patscheider Hof speisen. Hoch auf dem Ritten, dem Bozner Hausberg, versteckt sich der alte Bauernhof in den Weinhängen.

Aus der einstigen Buschenschenke, die nur zur Weinlese – der Wimmet – ausschenken durfte, ist ein kulinarischer Geheimtipp geworden. Hausherr Luis Rottensteiner verbindet in seiner Kochkunst bäuerliche Ursprünglichkeit mit südländischer Finesse und serviert Spezialitäten wie Milzschnittensuppe, Knödel mit Spinat und Roter Bete oder Ente mit Edelkastanien. „Hausmannskost, die früher deftig auf den Tisch kam, wird bei uns leicht zubereitet“, sagt der Koch, dessen Gesicht ein Schnauzer ziert. Hinter ihm sein Ebenbild: An der Wand hängt das Foto des Großvaters. Rauchgeschwärztes Holz, eine alte Standuhr, das Kruzifix in der Ecke – über 300 Jahre ist die Gaststube unverändert geblieben. Aus dem Fenster schweift der Blick über die Weinstöcke hinweg empor zu den mächtigen Felswänden – in der Abendsonne scheinen sie zu glühen.