Fotografische Substanz
Das sanfte Rauschen der Bilder
TEXT: © Manfred Scharnberg für FREELENS MAGAZIN
Was wird in unseren Medien eigentlich gedruckt, und was nicht? Eine aktuelle Durchsicht der wichtigsten Druckerzeugnisse mit schmerzhaftem Ergebnis. Die soziale Reportage ist nahezu verschwunden. Dafür herrscht ein seichtes Grundrauschen mit seltenen Peaks
Angela Merkel lächelt. Eine Seite weiter zieht sie einen Schmollmund. Mit diesen Fotos illustriert Der Spiegel eine Doppelseite, auf der die ehemaligen Lenker der SPD Politik Peer Steinbrück und Frank Walter Steinmeier sich über die Zögerlichkeit der Kanzlerin auslassen. »Untätig und unsichtbar« lautet die Titelzeile. Dabei zeigen die Fotos das Gegenteil. Die Kanzlerin ist sehr wohl sichtbar und tätig im Gespräch mit Steinbrück und dem »Krisenmanager Schäuble«. Solche und ähnliche Grausamkeiten finden sich in den Printmedien täglich. Richtig schlimm wird es aber erst, wenn man zwei Wochen lang die relevanten Nachrichtenmagazine, und Tageszeitungen auf ihre fotografische Substanz abklopft. Nicht nur mal ein Magazin durchblättern, oder in der Morgenzeitung schmökern. Nein, die ganze Dröhnung: sich bei allen Publikationen genau anschauen, welche Bilder veröffentlicht werden.
Es ist ein selbstquälerisches Experiment. Denn von einigen Tausend Fotos bleiben nur wenige übrig – sprich im Gedächtnis. Unsere Printmedien zelebrieren die Beweisfotografie: Tatsächlich, dieser Politiker lebt wirklich, und in jener Konzernzentrale gehen leibhaftige Menschen ein und aus. Was diese Person aber bewirkt oder jener Konzern auslöst, bleibt oft im Dunklen. Auch wenn in den Texten differenzierter darauf eingegangen wird, abgebildet werden immer nur die handelnden Personen, aber selten die Folgen ihres Handelns.
Fotos von Prominenten bestimmen die Seiten
Ein paar Zahlen gefällig? Voila: Focus publiziert in zwei Ausgaben 108 Fotos von Politikern, Wirtschaftsbossen, Experten und Prominenten. Von Menschen, die von deren Meinung und deren Entscheidungen betroffen sind, finden sich in den gleichen Magazinen ganze 22 Bilder. In den Spiegel-Ausgaben derselben zwei Wochen werden sogar 155 Politiker, Wirtschaftsbosse, Experten und Prominente abgebildet. Das ist fast die Hälfte aller im Heft abgedruckten Fotos. Bei den Betroffenen, dem »normalen Bürger«, kommt man nur auf 23. Ist Fotojournalismus nur noch die Fortsetzung der Hofmalerei mit anderen Mitteln? Sicherlich ist das Bild der Regenten heutzutage etwas komplexer, als zur Zeit der einflussreichen Adelsgeschlechter. Auch wenn heute die Aktivitäten von Politikern kritisch begleitet werden, so schaut das Volk dennoch gern zu, wenn Mächtige straucheln. Aber gerade das macht sie doch so sympathisch – oder sagen wir besser menschlich.
Wirft man mal einen Blick auf die Entwicklung der fotografischen Darstellung von Politikern, fällt auf, dass im letzten Jahrzehnt der Trend zum emotionalen, engen Porträt führt. Mit langer Optik, die Person aus dem Geschehen heraus gelöst, ohne Zusammenhang zum konkreten Geschehen, wird die menschliche Regung zur Schau gestellt. Da legt man sich als Bildredakteur ein Arsenal an Politikerporträts mit aller denkbaren emotionalen Mimik, von der Siegerpose bis zum zerknirschten Gesichtsausdruck an. Und je nachdem, wie die Redaktion ein politisches Ereignis werten möchte, zaubert man das »passende« Foto aus dem Hut. Sicher können abstrakte Vorgänge oft nicht anders visualisiert werden. Und so manches Mal kommt dabei auch eine spannende Bild-Text-Kombination heraus. Aber muss das zum Allheilmittel werden? Und vor allem: Kommt das nicht genau den Bedürfnissen der Parteienlandschaft entgegen? Politik wird auf Personen und nicht auf Programme reduziert. Die Wahlkampftaktik der Parteien setzt sich so in den Medien fort.
Was ist an solchen Fotos Politisch?
Vielleicht aber richten sich die Parteien ja auch nach den Medien. Man fragt sich nur: Was ist an solchen Fotos politisch? Dass Politiker vor den Kameras posieren, weiß jeder. Und jeder spielt mit. Unabhängig davon, ob man sich vor den Karren spannen lassen will oder nicht; die Optik unserer Medien funktioniert als riesige PR-Maschine der Führungselite. Gebetsmühlenartig werden die Mächtigen immer wieder dargestellt. Dabei prägt sich als Bild ein: Die sind (für uns?) da, die tun was. Auf jeden Fall: Sie sitzen immer noch am Hebel. Aber die Sichtung des fünfzigsten Bildes unserer Kanzlerin in einer Woche hinterlässt eher einen schalen Geschmack. Es scheint so, als ob eine Journalisten-Elite über die Elite unseres Landes berichtet. Fotografiert auch eine Elite für eine Elite? Nein. Vergleicht man, welche Fotos auf dem Markt vorhanden sind, und welche gedruckt werden, dann klafft dort eine riesige Lücke, um nicht zu sagen ein Abgrund.
Digitale Normierung und leicht verdaubare Massenware. Von dem, was junge Fotojournalisten an anspruchsvollen Themen und wunderbarer Fotografie beispielsweise beim Lumix Festival vorlegen, bescheren uns die Nachrichtenmagazine lediglich homöopathische Dosen. Nicht der Fotojournalismus ist in der Krise, sondern die Verlage. Wo bleiben die Fotos, die unsere soziale Realität abbilden? Gerade jetzt, in einer Zeit der sozialen Umwälzungen und der finanziellen Umverteilung wäre das nötiger denn je. Doch dies spiegelt sich kaum in unseren Printmedien wider. Wo werden richtig gute Fotoreportagen zu Themen wie Kinderarmut, Zeitarbeit, Bildungsmisere, Lobbyistentum, oder über die Folgen kommunaler Finanzknappheit gedruckt? Die Schlaglöcher auf unseren Straßen bekommen einen höheren Aufmerksamkeitswert als Menschen in Not. Von einem berichterstatterischen Muss haben unsere Medien die soziale Reportage zur Rarität degradiert – sie ist gelegentlich noch als Feigenblatt nützlich. Nicht die Nachrichtenmagazine, die mit 120 bis 170 Fotos pro Ausgabe eine Menge Bildmaterial publizieren, glänzten in den untersuchten Wochen mit sozialen Themen, sondern eine Wochenzeitung mit vergleichsweise geringerem Fotoanteil: Die Zeit. Erstaunlicherweise finden sich hier gleich vier Fotostrecken, in denen man den humanistischenAnspruch des Blattes spürt: islamische Kopftuchträgerinnen, Hebammenunter finanziellem Druck, indonesische Schwefelstecher und geheime Gefängnissein Frankreich, sind die Themen .. Wo wir bei Zeitungen sind: Die Tageszeitung, die sich redlich müht, soziale Themen aufzugreifen, übt noch kräftig, was die Optik angeht. Ansonsten herrscht im Blätterwald eher soziale Kälte. Aber nicht nur die inhaltliche Quantität, sondern auch die Qualität der Fotos ist zu bemängeln.